Als ich Toni Lauper während eines Silent Love Retreats im modernen Kloster Gut Saunstorf das erste Mal traf, kam mir sofort Lee Lozowick in den Sinn, denn ich erkannte diesen großen Meister in den Zügen Tonis wieder. Erst danach erfuhr ich, dass Toni ein langjähriger Schüler von Lee war und nun – 13 Jahre nach dessen Tod – den Ruf verspürt hatte, OM aufzusuchen und in Begleitung eines lebenden Meisters seinen inneren Weg fortzusetzen. In dem, was Toni teilte, empfand ich große Ehrlichkeit, ein Ringen um Wahrheit und die Bereitschaft, sich dem LEHRER anzuvertrauen. So fragte ich ihn, ob er bereit sei, über seine Zeit – die Höhen und Tiefen – mit Lee zu schreiben und uns teilhaben zu lassen an diesem lebendigen Weg eines interessierten Schülers mit seinem radikal-liebenden Lehrer. Hier sein Bericht, in dem die Musik immer wieder eine wichtige Rolle spielt…

Luna U. Müller, langjährige Schülerin des Weisheitslehrers OM C. Parkin


Eigentlich wollte ich 1989 auf der Schweibenalp (CH) im „Zentrum der Einheit“ an einem Workshop zum Herstellen eines Monochords teilnehmen. Weil der Kurs aber ausgebucht war, suchte ich auf dem Flyer nach etwas anderem und entdeckte eine kleine Anzeige: „Der Narr Gottes und seine Rockband“, Lee Lozowick, ein spiritueller Lehrer aus Arizona. Diese Anzeige war so anders als all der Rest und weckte mein Interesse: Rock und Spiritualität? Wie geht das zusammen? Ich meldete mich an für dieses Wochenendseminar.

Ich war damals in einer existenziellen Krise und wusste nicht mehr weiter, obwohl ich eine mehrjährige Psychoanalyse hinter mir hatte. Ich war auf der Suche nach Wahrheit und Sinn, aber im Grunde wollte ich mich von Leiden befreien. Ich las Dostojewskj, Alan Watts, Hermann Hesse, Erich Fromm und über Zen. Und ich praktizierte seit 5 Jahren Aikido. In meiner Verzweiflung übergab ich meine innere Not an das Universum (Gott war mir in der Kindheit ausgetrieben worden).

Eigenartigerweise begann ich ca. 14 Tage vor dem Seminar einen ungewohnten Ton im linken Ohr zu hören, der mich buchstäblich aufhorchen liess. Aber erst viel später, in der Rückschau, konnte ich dies als Zeichen, als Antwort des Universums sozusagen, im Zusammenhang mit der Begegnung mit Lee deuten.

Als ich dann Mister Lee, wie man ihn nannte, zum ersten Mal begegnete, war ich verwirrt, aber auch auf eine mir bisher unbekannte Weise berührt, weil ich ihn nicht in mein gewohntes Denken einordnen konnte. Mein erster Eindruck oder mein Vorurteil aus der Distanz war: „Was, der, ein Guru? Sieht so gewöhnlich aus.“
Jedoch die Leute aus der Sangha, die mit ihm angereist waren, wirkten sehr authentisch, freundlich, verinnerlicht und doch geerdet, was mich sehr beeindruckte. Dann aber stellte sich heraus, dass ich der einzige (neue) Teilnehmer war und ich wurde misstrauisch, war verunsichert. Wo war ich da nur hineingeraten? Es war unsicher, ob das Seminar überhaupt stattfinden würde.

Es fand dann schließlich statt, nachdem sich im letzten Moment noch 5 Bewohner des Zentrums angemeldet hatten. Lee sprach dann zu meiner Überraschung unter anderem von Werner Erhard, dem Begründer des EST-Trainings (heute Landmark), den er persönlich kannte und sehr schätzte, weil er das Potenzial vieler Menschen in seinen Workshops durch transformative Arbeit zum Leben erweckte. Seltsamerweise hatte auch ich vor einigen Jahren an Workshops von einem Schüler W. Erhards teilgenommen, wodurch ich meinem Leben eine neue Richtung, einen neuen Kontext, geben konnte. So hatte ich eine sofortige Resonanz gespürt, als Lee von Werner Erhards Arbeit zu sprechen begann und dann zu spiritueller Arbeit überging. Es war unmittelbar eine gemeinsame Basis da, erstmal frei von Esoterik, aber mit natürlichen Gesetzmäßigkeiten, die auch in Lees weiteren Ausführungen zum Teaching auftauchten. Bald war ich sehr berührt von dem Space, der sich aufbaute, und mein Herz begann sich mehr und mehr zu öffnen. Die Ahnung, dass Lee ein wahrer Lehrer sein könnte, begann sich zu bestätigen, und als kurz vor dem Darshan Lee im Treppenhaus zu mir kam, seine Hand auf meinen Arm legte und fragte, wie es mir gehe, in einer Art und Weise, wie noch niemand bisher gefragt hatte, da spürte ich es wie Strom durch mich fließen – eine ganz besondere Energie – und da war die schweigende Erkenntnis: „Das ist mein Guru“. Ich antwortete, dass ich sehr verwirrt sei, alles sei so neu. Er lächelte nur und sagte: „Das ist gut so“, was mich noch mehr verwirrte, und ich hatte den Eindruck, dass er mich besser kannte als ich mich selbst.


Nach dem Seminar wusste ich, dass ich zu Lees Ashram reisen wollte, um mehr über ihn und seine Arbeit zu erfahren, und reiste im Sommer 1989 nach Arizona zum damaligen Ashram in Prescott. Als ich dort ankam, war ich verblüfft über die schiere Einfachheit, ja fast ärmliche Kargheit des Ortes, der mir ziemlich unkomfortabel erschien. Paradoxerweise war trotzdem eine starke Energie spürbar, eine rohe Lebendigkeit, die auch durch die praktizierende Sangha aufrechterhalten wurde. Ich wurde freundlich aufgenommen als Besucher, von Lee sehr herzlich begrüßt und konnte an den Aktivitäten teilnehmen, die unter anderem aus den vier „Conditions“ (Bedingungen), d.h. den 4 Grundpraktiken: Meditation, Körperübungen, Diät und Studium gewisser spiritueller Bücher/Literatur, bestanden. Aikido, als Körperübung von Lee empfohlen, praktizierte ich bereits seit 5 Jahren und bin dieser japanischen Kampfkunst nun schon seit ca. 40 Jahren treu geblieben. Durch diese „Conditions“ soll im Körper eine Matrix gebildet werden, sozusagen der Boden fruchtbar gemacht werden, um das Teaching aufnehmen und halten zu können. Viel später merkte ich dann, dass damit auch die 3 Zentren, das physische, emotionale und mentale, genährt werden sollen. Das deutete auch auf die Wichtigkeit des 4. Weges hin, G.I. Gurdieffs Arbeit, die in Lees Schule eine wichtige Rolle spielt.*

*(Ganz besonders die Praxis der Selbstbeobachtung wurde immer wieder von Lee betont und sehr empfohlen. Aber ich verbrachte viele Jahre damit, diese Praxis zu vermeiden, weil ich Angst hatte davor, mich kennen zu lernen, und glaubte, es reiche, nur auf dem Bhakti Weg zu sein. Doch glücklicherweise las ich das unglaubliche Buch „Self Observation“ von Red Hawk, einem Lee Schüler, das mich eines anderen belehrte, und nach einem Intensiv-Seminar mit ihm in Rumänien vollends von der Unabdingbarkeit dieser Praxis überzeugte).

Das war alles neu und faszinierend für mich und ich war sehr interessiert, wissbegierig und offen. Es gab auch die sehr energetischen „After Dinner Talks“ mit Lee, die ich wie ein spirituell Dürstender aufsog und seine Worte drangen in mich ein wie Pfeile, gegen die ich mich nicht wehren konnte, weil sie diese Wahrheit transportierten, die ich so lange gesucht hatte. Ich war sehr motiviert und inspiriert, ein „guter Schüler und spiritueller Mensch“ zu werden, bereit hart zu praktizieren, aber vor allem ging es erstmal um mein Ego, etwas für mich zu kriegen und das Leiden schnellstmöglich loszuwerden.

Wenn ich damals realisiert hätte, was es heißt, Schüler von Lee zu sein, dass es gar nicht in erster Linie um „Mich“ geht, sondern eher darum, aus der Selbstbezogenheit zur Bezogenheit auf andere und das „ganz Andere“ (Gott) zu kommen, wäre ich wahrscheinlich davongerannt und Lees Warnung gefolgt, die war: „Renn davon, solange du noch kannst“. Er war nämlich nicht besonders erpicht auf neue Schüler und schon gar nicht auf blinde „Follower“. Doch seine abweisende Haltung machte ihn für mich in meiner hartnäckigen Ignoranz und Naivität nur noch anziehender und so bin ich geblieben, weil ich spürte, dass er ein ungewöhnlicher Meister war, der einen unermesslichen Schatz in sich trug, den er aber nicht leichthin offenbarte, sondern durch manchmal bizarres Verhalten zu verbergen schien. Nur wer diesen Schatz aus echter Notwendigkeit heraus wollte und bereit war, den Preis zu zahlen, konnte vielleicht einen Blick darauf erhaschen. Wie auch immer, ich hatte trotzdem meine Erwartungen und fragte ihn bei einem Privatgespräch um Hilfe zu einem belastenden Problem, da ich als Musiker unter einem sog. Musikerkrampf (fokale Dystonie) in der linken Hand litt und jahrelang geübte Bewegungsabläufe nicht mehr ausführen konnte, weil zwei Finger nicht mehr gehorchten, was mich in meiner Musiker-Laufbahn gewaltig einschränkte und fast verzweifeln ließ. Aber meine große Hoffnung wurde zerschlagen, denn Lee sagte, das sei nicht seine Arbeit, dafür müsste ich woanders hingehen. Ich war sehr enttäuscht, musste das erst verdauen, ließ mich aber davon nicht abschrecken, zu sehr war ich von Lees Präsenz und dem Teaching eingenommen, hatte schon einen Blick auf den „Schatz“ erhascht. Dann, plötzlich eines Morgens, ich war gerade am Arbeiten beim „Glass Business“, (Herstellen von Glasvitrinen), d.h. am Entfernen der Silikonreste an den Glasscheiben mit der Rasierklinge, als etwas Unerwartetes geschah: Ich fing plötzlich an zu weinen und fiel auf die Knie. Ich weinte und weinte wie ein Kind, es war erstmal sehr befreiend und ich war im Innersten berührt und überwältigt von etwas mir Unbekanntem, das ich nicht einordnen konnte, obwohl es sich irgendwie glücklich anfühlte. Gleichzeitig hatte ich – und das war sehr beängstigend – die Kontrolle über mich verloren und wusste nicht, wie mir geschah. Zwei Sangha-Brüder kamen sofort zu mir, kümmerten sich freundlich um mich, fragten nach meinem Befinden und halfen mir auf die Beine. Aber nun kam plötzlich eine riesige Angst hoch in mir davor, dass ich nun hilflos ausgeliefert sei, vielleicht gar psychotisch würde in dieser mir fremden Gemeinschaft und Lee ja vielleicht ein Scharlatan war… (die Moon Sekte, vor der ich gewarnt wurde, war damals sehr aktiv in den USA). Plötzlich wurde ich von einem Fluchtgedanken gepackt und wollte nur noch weg vom Ashram, von Lee und der Sangha. Ich wollte unbemerkt davonschleichen, packte heimlich meine Sachen, wurde dann aber von einer Studentin entdeckt, die mich zurückhalten wollte und sagte, dass ich ja alles so gut mache. Doch ich wollte nur noch weg von diesem für mich nun gefährlichen Ort, aber auf ihr dringliches Anraten, nicht in diesem fragilen Zustand wegzugehen, ließ ich mich überreden, in einem leerstehenden Haus einer Studentin etwas weg vom Ashram zu bleiben, bis sich mein Zustand stabilisiert hätte. In dem schönen Haus hängte ich als Erstes alle Bilder von Lee, Yogi Ramsuratkumar und anderen spirituellen Meistern ab; deren Anblick war zu „gefährlich“ für mich in diesem Zustand. Ich versuchte nur noch, wieder herunterzukommen, normal zu werden; dann aber, in der Nacht, hatte ich eine schreckerregende Vision einer riesenhaften weiblichen Figur, hell leuchtend. Es war kein Traum, ich war wach, mein Herz schlug rasend, ich schloss die Augen, aber die Vision blieb und in größter Angst dachte ich, ich sei nun psychotisch geworden. Gott sei Dank war der Spuk irgendwann vorbei und mein Zustand wieder stabil.


Es dauerte aber etwa 2 Jahre, bis ich diesen Schock verdaut hatte und Lee wieder begegnen konnte, in einem Sangha-Haus in Norddeutschland. Inzwischen hatte ich angefangen, seine Bücher zu lesen und begann besser zu verstehen, was Lees Arbeit war. Mein Schockerlebnis im Ashram erkannte ich rückblickend als Segen, nämlich als ein Fallen in mein Selbst/Sein, in Lees Teaching als „Organic Innocence“ (organische Unschuld) bezeichnet. Nur war ich völlig unvorbereitet hineingefallen, so wie ein Nicht-Schwimmer plötzlich ins tiefe Wasser fällt. Kein Wunder, dass mich bodenlose Angst packte, psychotisch zu werden, mein Ich wollte einfach überleben und war nicht bereit, diese plötzliche Öffnung zu nutzen, und so hat sich dieser Riss schnell wieder geschlossen. Aber diese Erfahrung kann ich nie mehr vergessen, dieser freie Moment reinen Seins ohne Abwehr blieb irgendwie in mir drin wie ein Pfeil der Liebe mitten ins Herz, der nicht mehr wirklich entfernt werden kann. Dieses „gebrochene Herz, mit der Wunde, die nur Gott heilen kann“ wie Lee sagte, ist verbunden mit „Self-Remembering“, der Selbst-Erinnerung im Vierten Weg, der Arbeit von Gurdjieff, und blieb unvergesslich in mir drin, auch bei den nicht immer einfachen Begegnungen und Manifestationen mit Lee, der auch als Lehrer der „Crazy Wisdom“ (verrückte Weisheit) Tradition bekannt war. So erzählte er z.B. bei einem Vortrag zuerst ausgiebig Witze, die unter der Gürtellinie waren, statt über das angekündigte spirituelle Thema zu sprechen, begleitet von Riesengelächter – sehr zum Missmut von vielen ernsthaften spirituellen Suchern – mit der Wirkung, dass viele den Raum angewidert verließen. Anfänglich irritiert, spürte ich sofort, dass es Lees Absicht war, die Zuhörer zu teilen und jene, die nur in der Oberflächlichkeit verharrten zu verscheuchen. Ein guter Trick, um nur wirklich ernsthaft interessierte Leute mit dem nötigen Unterscheidungsvermögen anzuziehen, die den verborgenen Schatz spürten und nicht auf sein Abschreckungsmanöver hereinfielen. Oft blieben nur wenige bis zum Ende im Raum. Es war manchmal schmerzhaft zu sehen, wie viele wohlmeinende Suchende wegliefen, vor allem, wenn es Freunde oder Bekannte von mir waren, denen ich vom beeindruckenden Meister Lee erzählt und sie zum Vortrag eingeladen hatte. Ich erkannte plötzlich, wie allein ich war auf meinem Weg. Ein weiteres Verscheuchungsmanöver von Lee war, wie z. B. bei einem Vortrag in Besançon (F), dass er in Überlautstärke schrie statt normal zu sprechen, wodurch sich viele Zuhörer verletzt und angegriffen fühlten, identifiziert mit ihrem gekränkten „Ich“, unfähig Lees Botschaft aufzunehmen. Wiederum liefen die Zuhörer in Scharen weg, irgendwie verständlich und doch… da war ja gerade ein Teaching erhältlich, wenn man nicht nur akustisch hinhörte, d.h. sich nicht verarschen ließ vom Göttlichen Narr, wie er auch benannt wurde.

Mich berührten diese Eskapaden immer zutiefst, weil mir dabei bewusst wurde, mit welcher Leidenschaft, ja, Besessenheit und Kompromisslosigkeit er das Teaching weitergab und lebendig erhalten wollte. Nicht nur durch gehaltvolle, schöne Vorträge, sondern er wollte uns aufrütteln, die Lehre bis ins Knochenmark spürbar machen, aber nur für jene, die es wirklich wissen wollten. Dafür gab er einfach alles und setzte auch seinen Ruf aufs Spiel. In der Schule gibt es auch den Satz „The body knows“ (der Körper weiß), welches mit dem Baul Sadhana des „Sahaja“ (sanskr.: angeboren, natürlich) verbunden ist. Lee bekannte sich zu den Bauls und nannte sich „Western Baul“. Die Bauls von Bengalen sind eine Sekte von ekstatischen Sängern, Tänzern und liebes-ver-rückten Poeten, wandernden Barden und häretischen Tantrikern, die dem reichen Erbe der Volkstradition des ländlichen Bengalen entsprungen sind. Ihr Yoga ist das „Kaya Sadhana“, der Pfad der Gottverwirklichung durch den Körper, dessen Ideal es ist, aus einem authentischen, ursprünglichen Impuls heraus zu leben: „Sahaja“. Das Sahaja-Prinzip in Lees Worten ist: „Wir müssen uns in den natürlichen Zustand hinein entspannen, in welchem das Göttliche, das evolutionär ist, frei durch uns leben kann“. Dieser Impuls bringt den wahren Baul zu „ulta“, dem umgekehrten Weg. Es ist ein Pfad, der in die entgegengesetzte Richtung der Welt führt, direkt gegen den Mainstream. Jenseits von Religionen, Kasten, Rasse oder Geschlecht, für jeden zugänglich, wird die erhabene Philosophie ins gewöhnliche Leben gebracht, vor allem durch Musik, Gesang, Tanz und Poesie. Lee, ein Eklektiker, hat oft etwas aus verschiedenen Traditionen ausgewählt, wenn es der Arbeit diente. Das unkonventionelle Sadhana der Bauls hat ihn besonders beeinflusst und deren Ketzertum passte zu seinem oft bizarren Verhalten, das manchmal wild, aufbrausend, selbstironisch, rücksichtslos, unhöflich, aber im nächsten Moment auch nobel, zart, freundlich, elegant, sublim und liebevoll sein konnte. Und doch: innerhalb der vielen Erscheinungsformen und Mittel seiner Kommunikation blieb Lee Lozowick ständig derselbe, in der Freiheit von einem, der jenseits von äußeren Phänomenen lebt. In dieser paradoxen Weise verkörperte er den Baul-Geist am sichtbarsten. Für eine Gemeinschaft von „Western Bauls“ spielte Kunst, vor allem die Musik (deren Songtexte Lee meistens selbst schrieb) mit den verschiedenen Bands als Gruppen-Sadhana, in der Schule eine große Rolle. Ich hatte, obwohl ich Musiker, Klarinettist, war, der ursprünglich von der Klassik herkam, lange gezögert Lee zu fragen, ob ich in einer der US-Bands mitspielen könnte. Mit meinem Lampenfieber und der Bewegungsstörung, der fokalen Dystonie, war meine Angst zu groß, den Sprung zu wagen. Erst 2008, also nach fast 10 Jahren als Schüler von Lee, auf einer Indienreise in Kalkutta, wo ein Treffen mit dem befreundeten Baul Purna Das und seiner Familie geplant war, kam es dazu. Die US Blues-Rockband „SHRI“, alles Studenten von Lee, sollte mit Baul Musikern zusammenspielen, aber auch als eigene Formation in ca. 10 Konzerten auftreten. Irgendwann sagte ich beiläufig zu Lee, dass ich meine Klarinette dabei hätte, worauf er spontan und unerwartet antwortete: „Großartig, dann spielst du morgen mit.“ Ich erwiderte ängstlich: „Was, ohne eine einzige Probe?“ Ich kannte ja die Songs nicht näher und hatte auch noch nie in einer solchen Band gespielt, aber er meinte nur ganz begeistert: „Cool, das macht es sogar noch aufregender!“ Nicht von Aufregung, sondern von nackter Angst war ich dann gepackt, ohne Probe einfach so spontan reinspringen, sowas hatte ich bisher noch nie gemacht, es war der Horror. Ich wusste nicht einmal, bei welchem Song ich spielen sollte. Zum Glück war es ein Blues, ich glaube „Angel of Mercy“ und „Motherless Child“. Das Bluesschema war mir etwas vertraut und mein Solo gelang mir recht gut, ja, ich liebte diesen Song! Lee war erfreut. Von nun an war ich bei den folgenden Konzerten immer auf der Bühne mit „SHRI“, wenn auch leider immer mit großem Lampenfieber. Aber ich war froh, einen Beitrag für Lee machen zu können mit Western Baul Music und ich lernte und liebte immer mehr das Improvisieren, eine großartige neue Erfahrung musikalischer Freiheit, obwohl oder gerade weil ich von Lee ins kalte Wasser geworfen wurde.

Mit Lee in einer Band zu spielen, war etwas ganz Besonderes. Es berührte mich immer, wie er völlig im Singen aufging. Und obwohl er kein guter Sänger war und oft falsch sang, was ihm völlig egal war, stand er einfach mit unglaublicher Präsenz auf der Bühne, völlig transparent für das Göttliche, meist mit Hut, bizarren T-Shirts, Sonnenbrille und Rock-Klamotten, und berührte die Herzen der Menschen, ohne ein guter oder perfekter Musiker sein zu wollen. Sein Fokus war immer die Arbeit, ihr zu dienen. Das war eine große Lektion für mich, der ich als Musiker gut dastehen wollte. Er trat selbst dann noch mit Bands auf, ging auf Tour und gab alles, als seine Zunge und der Hals wegen seiner Krebserkrankung sehr angegriffen waren und man seine Sprache, die Songtexte nicht mehr gut verstehen konnte. Er ließ sich weder vom „Leela“, wie er seine Krankheit nannte, noch von besorgten Devotees aufhalten, ging einfach weiter, bis kurz bevor er 2010 seinen Körper verließ. Seine letzte CD „A Tongue of Venom, a Soul of Love“ (Eine Zunge von Gift, eine Seele von Liebe) wurde sogar eine der besten.

Ich spielte später dann bei den meisten Europa Tourneen von „SHRI“ als Gastmusiker mit, worüber ich sehr dankbar bin. Und: die Improvisation wurde sozusagen zu einer Art „Heilmittel“ für mein Problem mit der linken Hand, zwar nicht, wie anfänglich erhofft in Form eines magischen Tricks von Lee, nein, ganz anders als erwartet half mir das Improvisieren trotz meiner Bewegungsstörung weiterhin Musik machen zu können, weil ich mit diesem „non-linearen“ Musizieren die Freiheit hatte, mein Spiel meiner Situation anzupassen. Wieder spürte ich Lees Unterstützung und Segen bei dieser neuen Spielweise, d.h. zu spielen, ohne im Voraus genau zu wissen was, fast wie aus dem Nichts heraus, staunend mir zuhörend, als ob ich selber zum Instrument von Lee geworden wäre, der durch mich hindurch spielte. Eine unglaubliche neue Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin. Nach dem Ende von „SHRI“ 2017 wurde von einem Lee-Schüler in Frankreich die Nachfolgeband „Manny“ gegründet, mit welcher ich seit einigen Jahren immer im Sommer auf Tour in Europa bin.  Mit einer weiteren Sangha-Band, die auch von Lee unterstützt wurde, „Iliria Nueva“, spiele ich seit 2011 vor allem in Deutschland und in der Schweiz, und zwar Balkan-, Zigeuner- und Klezmermusik, welche ich ebenfalls sehr liebe, vor allem die Klezmermusik.

Natürlich ist eine fast 3-wöchige Tour mit der Band „Manny“ nicht immer einfach, die stundenlangen Fahrten, tausende Kilometer im engen Van, gefolgt vom Set-up, dem Rumschleppen und Installieren der Instrumente und Boxen etc. auf einer unbekannten Bühne und manchmal stundenlangem Soundcheck in der Hitze, dann natürlich das Konzert, nachher wieder alles zurücktragen in den Van und oft noch eine lange Fahrt zur Unterkunft, praktisch keine Rückzugsmöglichkeit — das ist sehr anstrengend und – keine Wunder – gibt es früher oder später auch „Reibungen“ zwischen den Bandmitgliedern. Irgendwelche roten Knöpfe werden gedrückt und nur dank dem, dass jeder praktiziert und gewillt ist, die persönlichen Vorlieben hinter die gemeinsame Intention von Lees Vision, die Menschen zu berühren, zu stellen, hat dieser Stress letztendlich oft den Effekt, dass die entstehende „Hitze“ Transformation bewirkt und jeden einzelnen, aber auch die Band als Ganzes über sich hinaus wachsen lässt, Grenzen überschreiten lässt, wo Momente von tiefer, schweigender Ergriffenheit uns auf eine höhere Ebene bringen. Gleichzeitig geschieht manchmal auch das Gegenteil, wo alles banal bleibt, „normal“ sozusagen. Und ob der Funken springt und ein Austausch entsteht, hat manchmal auch mit der Offenheit und Empfänglichkeit des Publikums zu tun. Ich bin jedenfalls dankbar und froh, dass Lee uns diese Band-Projekte – als Möglichkeit zu wachsen – gegeben hat.

Ich kann nicht von Lee erzählen, ohne seinen Guru, Yogi Ramsuratkumar, den „schmutzigen Bettler und Sünder“, wie er sich nannte, „The Godchild from Tiruvannamalai“ in Indien, zu erwähnen, zu dem er eine beispiellos tiefe Liebe, Verehrung und Verbundenheit hatte, und den er immer wieder um sein Erbe als „Heart Son“ bat, die „Madness“, (göttliche) Verrücktheit. Für Lee war Yogi Ramsuratkumar die Quelle von Allem, seines ganzen Teachings und Lebens als Lehrer, weil er das Absolute verkörperte, der EINE, aus dem Alles kommt, ohne Trennung, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, alles eins. Die wahre Jüngerschaft von Lee zu Yogi Ramsuratkumar kommt besonders in seinen über 1000 Gedichten zum Ausdruck, die er im Laufe seines Lebens für ihn geschrieben hat. Es sind unglaublich tiefe Kommunikationen, die voll vom Teaching sind. Liebesgedichte für seinen Guru eigentlich, die Lee als wahren „Bhakti“ Meister offenbaren, der, obschon er im Prozess des Verschmelzens mit dem EINEN ist, wie er schreibt, immer wieder darum bittet, ihn nicht total in IHM verschwinden zu lassen, einfach damit er noch weiterhin sein „verrücktes Lachen, seine lichtvolle Bettlergestalt, die funkelnden Augen, die Klapse auf den Rücken“ bewundern und erfahren könne. Lieber die Schokolade essen, als die Schokolade sein.

Die Zäsur. Nach 30 Jahren vom linearen Teaching sagte Lee, er werde fortan keine Vorträge und verbale Teachings mehr geben, sein neues Teaching sei nun non-linear in der Form des „Sacred Bazar“, da das bisherige Lehren bei den Schülern zu mentalen Verzerrungen und Ungenauigkeit geführt habe. Er begann also heilige Artefakte zu verkaufen, oft wunderschöne Statuen und Bilder, Figuren von Gottheiten aus der Hindu-Tradition, aber auch vom tibetischen Buddhismus und anderen Traditionen, auch der christlichen. Er sagte, diese Artefakte seien von Yogi Ramsuratkumar gesegnet und Träger des Teachings. Gleichzeitig konnte er so auch Einnahmen für die 3 Ashrams (einen in Arizona, einen in Indien neben Yogi Ramsuratkumars Ashram und einen in Frankreich) generieren und seine Arbeit weiterführen, wobei der überaktive Mind der Devotees quasi ausgetrickst wurde. Ich liebte diese meist wunderschönen Stücke und kaufte sehr viele. Manchmal klopfte mir Lee auf den Rücken beim Kauf und sagte: „Good Work!“, und obwohl ich (mein Mind) es nicht verstehen konnte, fühlte ich den Segen und war beglückt durch die Ausstrahlung und Energie der Artefakte, die ja oft jahrelang verehrt wurden mit Poojas etc. Unser Haus mit 7 Zimmern ist jedenfalls ziemlich gefüllt mit „Sacred Art“, die meine Geldanlage geworden ist anstelle von tollen Autos oder exklusiven Ferien.

Was für mich schwierig war als einziger Schüler von Lee in der Schweiz, war das Fehlen einer Sangha in der Nähe. So fuhr ich jahrelang jede Woche einmal nach Freiburg i. Br. zum „Bordello“ (Teaching Meeting) und einmal monatlich zum Sangha Weekend, meistens im Schwarzwald. Lee besuchte auch jedes Jahr auf seiner Europa-Reise die deutsche Sangha und gab Seminare und Vorträge in Freiburg und Emmendingen, nebst Auftritten mit den Bands. Seine Basis war im Ashram „La Ferme de Jutreau“ in Südwestfrankreich, ca. 800 km entfernt von meinem Wohnort. Ich fuhr natürlich regelmäßig dorthin in den Sommerferien und besuchte dazu noch viele Gigs und Vorträge in Frankreich. So bestand ein Teil meines Sadhana sozusagen aus Autofahren, Tausende Kilometer läpperten sich zusammen.

Leider – einige Jahre nach Lees Tod (2010) – wurde es immer schwieriger, die deutsche Sangha  und die damit verbundenen Aktivitäten lebendig und aufrecht zu erhalten. Das Interesse bröckelte und die meisten waren in ihren eigenen Lebenssituationen absorbiert. Lees Vision der „Erleuchteten Dualität“, wie er es nannte, ohne seine lebende Präsenz zu verwirklichen, ist sehr anspruchsvoll.

Toni Lauper