Die spirituellen Lehrer OM C. Parkin, Dr. Jacques Vigne und Mary Angelon Young waren die Referenten der internationalen Konferenz der Stiftung im September 2024 im Kloster Gut Saunstorf: „Wissen und Hingabe – die aufsteigenden und die absteigenden spirituellen Pfade“.
Sie haben uns im folgenden Interview jeweils drei Fragen beantwortet, die sich mit der Unterscheidung und Vereinigung der beiden Pfade auf dem inneren Weg befassen, und geben Einblick in ihre Lehre.
OM C. Parkin
OM ist spiritueller Meister, Mystiker und Buchautor sowie Initiator der OM-Stiftung Innere Wissenschaft. Seine Lehre der stillen Tradition gründet auf der östlichen advaita-Tradition (Lehre der Nicht-Dualität) und den Lehren des Integralen Yoga.
1. „Wissen und Hingabe – die aufsteigenden und die absteigenden spirituellen Pfade“ ist der Titel unserer Konferenz. Was ist für dich die wesentliche Unterscheidung zwischen dem Weg der Hingabe und dem Weg des Wissens?
OM: Alle existierenden spirituellen Wege sind entweder Wege des Wissens oder Wege der Hingabe. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Eintrittstore in die Wirklichkeit: durch die männliche oder durch die weibliche Seele. Sie können nur zu Beginn getrennt beschritten werden und münden in die Vereinigung.
2. Welche Schwierigkeiten siehst du auf dem Weg der Vereinigung dieser beiden Pfade für einen suchenden Menschen?
OM: Jeder gewöhnliche Mensch ist mit dem denkenden Geist identifiziert, der linear denkt und eine Welt auseinanderstrebender Gegensätze erzeugt. So interpretiert er auch diese beiden Pfade zunächst als gegensätzlich. Unvereinbarkeiten sind die Folge. Ein stiller Geist ist notwendig, um zu erfahren, wie die vermeintlichen Gegensätze ineinanderstreben, um eins zu werden.
3. Welche Essenz deiner Lehre möchtest du auf der Konferenz den Teilnehmenden vermitteln?
OM: Die innere Hochzeit.
Dr. Jacques Vigne
Jacques ist französischer Psychiater. Nach seinem Studium ging er nach Indien. Hier studierte er an der Hindu-Universität in Varanasi Yoga und traditionelle indische Philosophie und lebte dann ein Jahrzehnt bei seinem Meister Swami Vijayânanda, einem engen westlichen Schüler der Weisen Mâ Anandamayî, und anschließend 12 Jahre als Einsiedler.
1. „Wissen und Hingabe – die aufsteigenden und absteigenden spirituellen Pfade“ ist der Titel unserer Konferenz. Worin sehen Sie die wesentliche Unterscheidung zwischen dem Pfad der Hingabe und dem Pfad der Erkenntnis?
Jacques: Diese Frage lässt mich an eine Geste von Mâ Anandamayî denken. Als mein Meister Swami Vijayânanda, der fast 60 Jahre in Mâ’s Ashrams verbrachte und intensives Sadhana machte, mit ihr über das Erwachen der Energie sprach, stellte sie ihre beiden Zeigefinger senkrecht, aber in entgegengesetzter Richtung aneinander und sagte: „Kama-krodha und Bhagavan ki shakti, so ist es!“, d.h. „Intensives Verlangen und Zorn, in Bezug auf die Energie des Herrn, sind so!“ Ob man nun dem Pfad der Hingabe oder dem Pfad der Erkenntnis folgt, die Reinigung des Geistes ist ein Fundament und begleitet einen auf dem ganzen Weg. Alle spirituellen Wege Indiens sind Wege der Reinigung, einschließlich des Vedanta.
2. Welche Schwierigkeiten sehen Sie für einen Suchenden im Prozess der Vereinigung dieser beiden Pfade?
Jacques: Mâ Anandamayî sagte: „Wenn man Gott erkennt, erkennt man das Selbst; wenn man das Selbst erkennt, erkennt man Gott“. Der Pfad der Hingabe ermöglicht eine intensive Transformation der Emotionen und gewöhnt an Konzentration; der Pfad der Erkenntnis hat einen direkten, leichten Aspekt, man vergleicht ihn mit einem Papagei, der im Gegensatz zu anderen Vögeln keine Umwege macht und direkt zum Ziel kommt. Sie sind die zwei Seiten derselben Münze.
3. Welche Essenz Ihrer Lehre würden Sie den Teilnehmern der Konferenz gerne vermitteln?
Jacques: Ich habe keine originale Lehre, ich versuche, die beiden Lehren weiterzugeben, die mich am meisten beeinflusst haben: die von Swami Vijayânanda, der Mâ Anandamayî sehr nahe stand und mit dem ich 25 Jahre lang zusammen war, bis er 2010 seinen Körper verließ, und die von Tenzin Palmo, mit der ich seit 2010 verbunden bin. Eine grundlegende Botschaft könnte die von Konfuzius und Menzius vor 15 Jahrhunderten sein, die der Dalai Lama heute wieder aufgreift: Wenn wir glücklich sein und andere glücklich machen wollen, sollten wir die beiden grundlegenden Qualitäten des Menschen entwickeln: Achtsamkeit und Wohlwollen.
Mary Angelon Young
Mary Angelon praktiziert und studiert seit 1987 eine Synthese aus Bhakti und Tantra – verbunden mit den wandernden, radikalen Mystikern Bengalens, den Bauls – unter der Anleitung ihres amerikanischen Lehrers Lee Lozowick (1943-2010).
1. „Wissen und Hingabe – die aufsteigenden und absteigenden spirituellen Pfade“ ist der Titel unserer Konferenz. Worin sehen Sie die wesentliche Unterscheidung zwischen dem Pfad der Hingabe und dem Pfad der Erkenntnis?
Mary Angelon: Im höchsten Sinne gibt es keinen Unterschied zwischen den Pfaden des Wissens und der Hingabe oder zwischen aufsteigenden und absteigenden Pfaden, die oft als Jnana und Bhakti oder sogar als männlich und weiblich bezeichnet werden. Als Gegensätze sind sie zwei Seiten einer Goldmünze; wenn einer dieser Wege vollständig, in seiner wahrsten Möglichkeit, ohne Ablehnung des anderen gelebt wird, dann enthält und offenbart jeder Weg den Samen, die Knospe und die Blüte seines Gegenteils.
Der Weg des Wissens ist im Wesentlichen nicht-theistisch; er strebt nach Klarheit des Geistes und der Absicht durch das Abstreifen von Identitätsschichten, durch Selbstverzicht und Loslösung, um die Wahrheit der Nicht-Dualität zu erkennen. Die Methoden konzentrieren sich auf eine eher „männliche“ (nicht auf das Geschlecht bezogen) Herangehensweise, die auf eine direkte Erfahrung der Realität abzielt: Meditation, strenge Disziplinen, Untersuchung („Wer bin ich?“) und Studium auf einem „via negativa“- oder neti-neti- („nicht dies, nicht dies“) Pfad. Die meisten Formen der nicht-dualen Praxis behaupten, dass alles, was wir sehen und erleben, unwirklich, leer und illusorisch ist, einschließlich aller Bilder des Absoluten als Göttlichkeit oder persönlichen Gottes. Wichtige Grundsätze: Nicht-Dualität, Männlich, Verwirklichung, Sein, Ultimative Realität, Unendlichkeit.
Der Weg der Hingabe ist im Wesentlichen theistisch oder polytheistisch; er strebt danach, das Herz zu erweichen, zu öffnen und zu erwecken, als Tor zur Göttlichkeit als persönlichem Geliebten. Die Methoden konzentrieren sich auf Mantra, Ritual, Gesang, Gebet, Kreativität und Hingabe an die Gottheit als Mittel zur direkten Erfahrung der Göttlichkeit. Als ein „via positiva“ werden erschaffene Wesen, Dinge und Lebenserfahrungen als real wahrgenommen – das Lila der Göttlichkeit. Durch verschiedene Formen der Verehrung entstehen göttliche Stimmungen (Rasa) im Lobpreis der Göttlichkeit in Form und Formlosigkeit. Wichtige Grundsätze: Erleuchtete Dualität, Weiblich, Erwachen, Werden, Gnade, Göttlichkeit.
2. Welche Schwierigkeiten sehen Sie für einen Suchenden im Prozess der Vereinigung dieser beiden Pfade?
Mary Angelon: Sowohl aufsteigende als auch absteigende Wege sind notwendig; beide haben potenzielle Fixierungen, Täuschungen und Sackgassen. Fundamentalismus und starres Denken sind mächtige Hindernisse auf beiden Wegen. Da die Religionen und die dominierende Kultur unserer Zeit in einer Voreingenommenheit gegenüber „männlichen“ Werten, Mitteln und Zielen verankert sind, neigen selbst die Aufrichtigsten unter uns dazu, einen Weg über den anderen zu stellen, als ob einer dem anderen überlegen sei. Diese Voreingenommenheit leugnet die Gesamtheit und Ganzheit der Goldmünze, und wenn eine Polarität unterdrückt und verleugnet wird, wird die andere verdreht und im Schatten liegen, was zu Schichten und Komplexen der Täuschung führt.
Auf dem nicht-dualen Weg wird die Heiligkeit der Schöpfung und der menschlichen Erfahrung oft negiert und unterdrückt, oder die Praxis wird trocken, intellektuell und starr, wobei die intuitiven und gefühlsmäßigen Funktionen unterdrückt werden. Auf dem Weg der Hingabe wird es schwierig, Klarheit und Selbstbestimmung zu erreichen, wenn wir uns in Projektionen auf den Lehrer oder Guru als Objekt der Hingabe verstricken. Zu oft werden „Verehrer“ zu Eiferern oder blinden Anhängern, die persönliche Verantwortung, Selbsterkenntnis und die Realität, wie sie ist, vermeiden und sich im „sicheren Hafen“ einer spirituellen Gemeinschaft oder eines Ashrams verstecken.
3. Welche Essenz Ihrer Lehre würden Sie den Teilnehmern der Konferenz gerne vermitteln?
Mary Angelon: Die Praxis des Tantra umfasst sowohl aufsteigende als auch absteigende Pfade im täglichen Leben und konzentriert sich dennoch auf den weiblichen Aspekt. Mein Lehrer, Lee, nannte dies die Perspektive der Erleuchteten Dualität. Er sprach vom weiblichen Aspekt als „das einzige Tor zu Gott.“
Das menschliche Herz fühlt und weiß; durch ein inneres Yoga des Herzens kommen wir in die direkte Erfahrung von sowohl Unendlichkeit als auch Göttlichkeit. Das spirituelle Herz ist ein mystischer Berührungspunkt, ein Schwellenbereich „zwischen dem zwischen“, in dem die alchemistische Spannung zwischen den Gegensätzen das Göttinnen-Bewusstsein im Gefäß der eigenen Menschlichkeit erweckt.
Wenn man die Spannung des Paradoxons hält und in beiden, aufsteigenden und absteigenden, Erfahrungen des Pfades präsent bleibt, werden die Unterscheidungen zwischen Wissen und Hingabe irgendwann bedeutungslos im Tanz von RadhaKrishna; der Pfad selbst wird als lebendiges Mysterium offenbart.