INTERVIEW MIT EINEM WESTLICHEN ADVAITA-LEHRER: OM C. PARKIN

Interview: Ulrike und Dr. Rüdiger Porep am 4.1.2013 im Kloster Gut Saunstorf – Ort der Stille
Dies Interview ist auf Französisch in „3e millénaire“ Februar 2013, Frankreich, erschienen. 

Frage: Das Ziel des Suchenden auf dem spirituellen Weg ist es zu erwachen. Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was das ist, was da geschieht. Kannst du mir sagen, was Erwachen ist?

OM: Der Riss zwischen dem Bewusstsein und dem Ich-Gedanken.

Frage: Ist das so, dass Erwachen ein einmaliger Moment ist, oder geschieht das Erwachen als Prozess in der Zeit?

OM: Sowohl als auch. Es handelt sich um ein Geschehen jenseits von Zeit und innerhalb von Zeit. Spontanes Erwachen und allmähliches Erwachen.

Frage: Bei dir ist das Erwachen geschehen. Ich möchte dich bitten zu beschreiben, was deine Erfahrung war, und wie sich das Erwachen als Moment gezeigt und als Prozess weiter entwickelt hat. Zunächst gab es da ja ein äußeres Ereignis, nämlich einen fast tödlichen Unfall. Löste dieser Unfall, der in den klinischen Tod führte, das letztendliche Erwachen aus?

OM: Die Einsicht in das Absolute ist noch nicht vollständiges Erwachen. Das habe ich anhand der Bilderfolge der zehn Ochsenbilder aus dem Zen dargestellt, und das kann ich aus der Abfolge verschiedener Erfahrungen, die durch mich geschehen sind, so auch bestätigen. Dieser Unfall, der Zustand des klinischen Todes, die Abwesenheit der Welt, der Riss des Wahrnehmungsstromes – das hatte zur Folge, was ich den Schock des Absoluten nenne. Diese Absorption in das Absolute hielt an, gleichwohl war das nicht das Ende des Denkers. Persönliches Leiden existierte nach wie vor in Gedankenformen, in Unbewusstheit über den Denker, sodass man sagen kann, dass die vollständige advaitische Vereinigung noch nicht geschehen war.

Der zweite wesentliche Moment war sicherlich der Moment, als ich mit meiner Lehrerin Gangaji einige Jahre nach dem Unfall während eines Satsangs in Österreich, in Lunz am See, unter einer großen Linde saß und sie stellte die Frage: „Wer bist du?“ Ohne den Unfall wäre das, was dann geschah, sicher nicht möglich gewesen. In dem Moment geschah eine tiefe Innenschau, in der gesehen werden konnte: die Täuschung der Wurzel von Gedanken, die Täuschung der Wurzel des Ich-Gedankens. Es wurde gesehen, wie Gedanken sich gegenseitig bestätigen und sich gegenseitig Wahrheit verleihen. Die ganze Welt der Ideen brach in einem Augenblick zusammen, als klar wurde, dass es gar keine Instanz gibt, die innerhalb dieser Welt, die der Ich-Gedanke geschaffen hat, die Wahrheit sehen oder finden oder überhaupt unterscheiden könnte. Es ist einfach nur ein sich selbst bestätigendes, sich selbst aufrecht erhaltendes Perpetuum mobile – die Welt ist dieser Kreislauf von Gedankenformen. In dem Moment brach diese letzte Verankerung des Ich-Gedankens. Es trat so etwas auf wie ein kosmisches Gelächter über den kosmischen Witz, und dann eine tiefe Versunkenheit, stille Selbstversunkenheit. In der Folge traten dann tiefe Erkenntnisse ein, über verschiedene, wesentliche philosophische Zusammenhänge, über das Wesen des Bösen beispielsweise.

Frage: Kann man sagen, dass dieser Moment des Erwachens darin bestand, dass sich der Ich-Gedanke in seiner Nacktheit zeigte und gesehen werden konnte als ein Gedanke?

OM: Der Ich-Gedanke ist nicht einfach nur ein Gedanke, sondern er besteht aus einem Gedachten und aus einem Denker. Das heißt, der Ich-Gedanke denkt sich selbst. Der Ich-Gedanke tritt in der Spaltung zwischen Pseudo-Subjekt und Objekt auf, und dieses Pseudo-Subjekt, also die vermeintliche Quelle und der Ursprung von allem kann nicht gesehen werden. Denn das meint „Subjekt“: es gibt nichts dahinter, es ist nichts Geschaffenes, nichts Gesehenes, nichts Wahrgenommenes, sondern der Ursprung des Wahrgenommenen; das Subjekt kann nicht gesehen werden. Wir sprechen von dem Ich-Gedanken als Pseudo-Subjekt, weil er sich an der Position des Subjekts eingenistet hat. Es gibt in dem Buch „Intelligenz des Erwachens“(erschienen bei advaitaMedia 2010) eine Stelle, wo es um die Frage geht: Wenn du dich vor deinen Häschern verstecken müsstest – wo ist der Ort, wo du auf keinen Fall gefunden werden könntest? Es gibt sicherlich Orte in der objekthaften Welt, die schwer zu finden sind, aber letztlich wird alles irgendwann gefunden. Aber stell dir vor, das Objekt versteckt sich an dem Ort, der sucht, an dem Ort, der sieht. Dort kann es nicht mehr gesehen werden. Augen können sich selbst nicht sehen. Es ist also zunächst ein unauffindbares Versteck und wird daher von den Menschen auch nicht als Betrug erkannt.

Frage: Das Aufdecken dieser Täuschung, das Ende des Denkers, hatte ja weitere Konsequenzen für den gesamten Organismus. Kannst du beschreiben, wie sich das auswirkte in der körperlichen Existenzform auf den drei Ebenen menschlichen Daseins, nämlich auf den physischen Körper, das Fühlen und die mentale Intelligenz?

OM: Es gibt ja grundsätzlich zwei Wege, die von Meistern unterschieden werden und die erfahrungsgemäß von der spirituellen Tradition differenziert werden. Nennen wir es einmal vereinfacht „der Weg, der in die Welt hineinführt“, und „der Weg, der aus der Welt herausführt“. Immanenz und Transzendenz. In dem letzten Buch der Reihe advaita „Gelebte Spiritualität“ gibt es eine Stelle in dem Text von Barry Long, wo er indirekt Bezug nimmt darauf, dass dieser Weg der Transzendenz der harte Weg sei, verbunden mit sehr viel Schmerz, mit sehr viel temporärer Dysfunktion des gesamten Organismus. Es liegt nahe, daß es schwierig ist, solche radikalen Prozesse der Zerstörung durchzumachen; dass es für den Organismus, der diesem Transformationsprozess folgen muss, alles andere als einfach ist. Ich meine damit sowohl den physischen als auch den feinstofflichen Körper.

Durch den Unfall war die gesamte Organisation der Aufmerksamkeit vollkommen verändert, also der von Castaneda so genannte „Montagepunkt“ verschoben. Ich war entrückt. Es gab schwerwiegende Störungen im Gehirn, im zentralen Nervensystem, mit extremen Formen von Unwohlsein, die ich nie gekannt hatte und die man sich so auch gar nicht vorstellen kann, ein extremes Unwohlsein des ganzen Systems. Der physische Körper existierte so nicht mehr, er war nicht mehr materiell, nicht mehr schwer. Er war federleicht, sozusagen ent-dichtet. Das hielt jahrelang an. Ich weiß wirklich nicht, wie es möglich war, das tägliche Leben zu meistern. Niemand konnte sagen, was da im Gehirn vor sich ging. Ich hatte alle Arten von Kopfschmerzen, Missempfindungen im Kopf jeder Art. Doch viel schlimmer waren die Reizverarbeitungsstörungen: Sinnesreize konnten nicht richtig verarbeitet werden, ich hatte bei Tageslicht ständige Reizüberflutung und mußte mich ins Dunkle zurückziehen. Mein Zustand kann beschrieben werden als das Gefühl, als wäre der Stecker herausgezogen worden; du kannst dir das so vorstellen: du warst lange an einer Energiequelle angeschlossen und plötzlich wird der Stecker herausgezogen, du bist aber noch nicht an einer neuen angeschlossen. Es ist ein ganz tiefgreifender Umbauprozess, der sich auf allen Ebenen vollzieht. Ich kann in gewisser Weise Barry Long bestätigen, dass dieser Prozess hochgradig unbequem und unangenehm auf verschiedenen Ebenen ist.

Frage: Aber dennoch ist es das wert?

OM: In jedem Fall! Die Nebenwirkungen waren nichts gegen die Glückseligkeit des Seins, welche alles durchdrang. Ich bin ja in gewisser Weise unfreiwillig den härtesten Weg gegangen, den man sich vorstellen kann, durch einen Unfall und einer irrsinnigen Gewalteinwirkung. Ich fuhr mit ca. 60 Stundenkilometern ungebremst gegen einen Baum. Wer kann jetzt die Gewalteinwirkung und die Folgen des Unfalls genau trennen von dem Transformationsprozess? Das ist ja nicht zu trennen.

Barry Long behauptete dann in dem Artikel, dass der Weg der Immanenz, z.B. über die Liebe zwischen Mann und Frau, sehr viel sanfter und harmonischer sei – nun ja, ich weiß, was er meint, aber ich kann das dennoch so nicht stehenlassen. Letztlich müssen wir verstehen, dass die letzte Realität – Advaita – weder einzig zu erfassen ist über den Weg, der aus der Welt hinausführt, noch ist es einzig zu erfassen über den Weg, der mitten in die Welt und durch die Welt hindurch führt. Advaita kann nur durch den Vereinigungsweg, den ich den paradoxen Weg nenne, erfasst werden. Dies ist der Weg des „Nach-oben-fallens“. Logisches Denken eines Ich-Denkers versagt hier. Deshalb sind Koans Wegweiser des paradoxen Wegs. Advaita ist der paradoxe Weg, ein Weg, der kein Weg ist. Der weglose Weg.

Frage: Du hast im Zusammenhang mit dem Erwachen von Transformation gesprochen. Die Frage, die bei mir auftaucht: Was wird denn in was umgeformt?

OM: Stell dir eine wunderbare Maschine vor: es wird Blech reingefüllt und es kommt Gold wieder heraus. Was ist denn das, was zur Transformation auf diesem Weg freigegeben wird? Es ist die persönliche Welt des Suchenden inklusive des Suchers selbst. Da diese persönliche Welt von dem natürlichen, relativen Zustand des Menschseins nicht getrennt, sondern mit ihr verklebt ist, entzerrt sich diese Welt, entzerrt sich die Verklebung zwischen dieser illusionären Welt eines denkenden Geistes und der essenziellen Erscheinung der Persönlichkeit. Es geschieht eine Trennung zwischen dem, was ich in „Intelligenz des Erwachens“ in Anlehnung auch an andere Meister, primäre und sekundäre Illusion genannt habe.

Die ganze Persönlichkeit dieses Menschen verändert sich sehr stark. Es gibt auch Merkmale, die gleich bleiben. Aber Berichte über die Veränderungen der Persönlichkeit in Meistern haben häufig identische Merkmale: Sie beschreiben, wie dieser menschliche Organismus durch einen (meist jahrelang andauernden) Wandlungsprozess geht, bei dem am Ende ein neuer Mensch  entsteht. Mit anderen Worten, es geschieht ein rapider Verwandlungsprozess der gesamten Persönlichkeit, bis dahin gehend, dass sich möglicherweise sogar Körperstrukturen verändern. Die gesamte Erscheinung dieses Menschen durchläuft einen massiven Wandlungsprozess, der nicht vergleichbar ist mit Veränderungsprozessen von gewöhnlichen Menschen im Zahn der Zeit. Es ist, als wenn ein Katalysator eingesetzt worden wäre, der dann innerhalb von kürzester Zeit Veränderungsprozesse mit sich bringt, die in einem gewöhnlichen Menschen vielleicht ein Vielfaches von Zeit benötigen würden oder gar nicht geschehen würden. Doch die mit äußeren Augen sichtbaren Verwandlungen sind eigentlich unwesentlich und nur Beiwerk eines inneren Verbrennungsprozesses in der geistigen Welt. Dieses Verbrennen des denkenden Geistes kann mit äußeren Augen nicht gesehen werden.

Frage:. Könnte man sagen, dass da Sterbeprozesse und Neugeburtsvorgänge stattfinden?

OM: Ja, alchemistische Prozesse sind Tod- und Neugeburtsprozesse. Eine Transformation geschieht jedoch normalerweise deshalb nicht, weil das Material, das für den Transformationsprozess benötigt wird, nicht vollständig ist. Es wird geistiges Material zurückgehalten. Nehmen wir die Bereitschaft eines Ichs, das sagt: hier ist mein voller Einsatz, das bin ich bereit zu geben, aber heimlich hat das Ich irgendwo noch etwas in der Hosentasche versteckt, hinter dem Rücken, an einem verborgenen Ort. Es kommt also zum Alchemisten und gibt 80 Prozent – was ja schon viel wäre. Aber ein Transformationsprozess kann nicht mit zurückgehaltenem Einsatz geschehen. Er kann nur bei 100 Prozent liegen. Es gibt keinen 80prozentigen Tod, es gibt auch keinen 99prozentigen Tod. Tod ist radikal, vollständig und zu 100 Prozent. Deshalb spreche ich oft zu Schülern über ihre Haltung des „99prozentigen Todes“. Ich frage sie, wie sie sich das vorstellen – mit all den Bedingungen, welche sie stellen? Ob sie daran glauben, dass es einen 99prozentigen Tod gäbe?

Menschen müssen sich dieser Haltung annähern, sie ist nicht ohne weiteres verfügbar, diese absolute Radikalität gegenüber Leben und Tod. Es kommt sehr selten vor, dass ein Mensch an diesem Punkt angelangt ist, wo er bereit ist, wirklich ALLES zu geben. Ich stelle ja deshalb häufig die Frage: Was bist du bereit zu verlieren? Es ist vollkommen in Ordnung, dass Menschen sich dieser Radikalität und dieser Dimension von Transformation annähern, und es ist in Ordnung, wenn sie langsame Fortschritte machen: Ihre Bereitschaft wächst in Liebe und Vertrauen auf dem Weg der kleinen Schritte. Manchmal sind große Schritte möglich und selten Quantensprünge.

Frage: Es gibt diesen Begriff des endgültigen Erwachens. Würde das, was du eben gesagt hast, bedeuten, dass es auch ein passageres oder partielles Erwachen gibt?

OM: Es gibt viele Ebenen von partiellem Erwachen. Diese Ebenen sind Teileinsichten, die letztlich doch einen vergänglichen Charakter haben. Es gibt viele Geschichten von Menschen, die Jahre lang vollkommen davon überzeugt waren, vollständig erwacht zu sein – meistens Menschen, die nicht konsequent mit der Form des menschlichen Meisters zusammen waren. Sie lebten in Zuständen von Liebe, oder Glückseligkeit, oder ihr Geist war scheinbar leer. Doch eines Tages kam er plötzlich zurückgeschlichen.

Ihr erwachter Zustand entpuppt sich als ein vergängliches Geschehen und nicht als die Transformation des Sehers selbst. Es wird auf avancierten Ebenen sehr subtil, und es gibt in der westlichen Kultur kaum Menschen, die in der Lage sind, ohne die Begleitung des Lehrers in der Form, durch diese Subtilität von Verblendung durch Ideen bis in die endgültige Erkenntnis zu gelangen.

Frage: Vielleicht kannst du in diesem Zusammenhang etwas zu dem Begriff der Gnade sagen, der immer wieder in dieses Erwachensgeschehen mit einbezogen wird: Ist der letzte Schritt nur möglich durch Gnade?

OM: Ich beschreibe diese Situation immer wieder mit einem Bild: Das Ich kann bis an die Klippe herantreten – Fallen kann es nicht „machen“. Aber es kann den Weg zur Klippe einschlagen. Insofern kann man auch sagen, dass die Gnade dennoch die letzte Frucht des wahrhaftigen Eigenwillens ist, der den Weg zur Klippe genommen hat und sich eben nicht hat abhalten lassen, sich nicht hat versuchen lassen, Irrwege, Abwege und Umwege zu nehmen. Gottes Wille ist fast ein Synonym für die Gnade, Gottes Wille ist die Wirkkraft und die Gnade ist seine Wirkung.

Zunächst muss der Eigenwille von Gottes Wille unterschieden werden, doch die Wahrheit über den Eigenwillen ist, dass dieser persönliche Wille in der Tiefe der Seele nicht von Gottes Wille unterschieden ist. Sie sind nur deshalb zunächst voneinander unterschieden, weil der Eigenwille des Menschen nicht weiß, was er wirklich will. Er ist verwirrt, verblendet und getäuscht, will deshalb Dinge, die er eigentlich gar nicht will. Er weiß es spätestens dann, wenn er die Konsequenzen erleiden muss. Doch das kann dauern, bis die Konsequenzen des falschen Eigenwillens endgültig sichtbar werden.

Frage: Du hast ja schon die zehn Ochsenbilder erwähnt. Die letzten beiden Ochsenbilder zeichnen den Weg zurück auf den Marktplatz. Ich möchte gerne noch mal die Frage stellen, ob sich der Erwachte in dieser Welt bewegen kann als Mitmensch unter Mitmenschen?

OM: Der erwachte Zustand und überhaupt die objektive Wirklichkeit kann in drei Aspekten dargestellt werden, so wie es in den letzten drei Ochsenbildern gezeigt wird. Der erste Aspekt ist die vollkommene Absorption in das Absolute. In dieser Absorption herrscht die Erkenntnis: Das Absolute braucht das Relative nicht, aber das Relative braucht das Absolute; die Welt braucht Gott, aber Gott braucht die Welt nicht. Das ist nur eine Umschreibung davon, dass die Quelle unberührt ist von den Erscheinungsformen der Welt. Der zweite Aspekt ist dann die Rückkehr des Menschseins. Ich nannte es das Menschsein in Gott. Der Mensch kehrt nicht mehr als persönliches Wesen zurück; sehr wohl mit Persönlichkeit und in persönlicher Form, aber sie hat einen Eignerwechsel durchlebt und ist entsprechend nicht mehr von den gleichen Gesetzmäßigkeiten angetrieben wie zuvor. Der dritte Aspekt ist dann die Rückkehr des Werdens, das heißt von evolutiven und involutiven Entfaltungs- und Einfaltungsprozessen, die jeden Werdeprozess ausmachen. Almaas zitiert einen buddhistischen Lehrer, der den Begriff der „Großen Zeit“ eingeführt hat. Also nicht mehr die kleine Zeit, die das denkende Ich kreiert hat als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern die Große Zeit als ein paradoxer Werdeprozess der Jetztheit, in dem alles gleichzeitig und nicht-gleichzeitig geschieht; in dem gleichzeitig auf- und absteigende Prozesse geschehen, und in dem dennoch nicht das Chaos herrscht, sondern ein geordneter Entfaltungsprozess, der sich auf natürliche Weise durch Selbsttranszendenz auf immer höhere Bewusstseinsstufen schraubt.

Man kann also das Erwachen in die Realität unter diesen drei Gesichtspunkten beschreiben: die Absorption in das Absolute; die Transformation des Menschseins durch die Gründung des Menschseins im Absoluten; und dann auch die Rückkehr des Werdens in der von mir beschriebenen Form – das ist die Dreifaltigkeit der Realität. Es ist sehr interessant zu sehen, dass in bestimmten Lehrern, von denen es heißt, sie seien Advaita-Lehrer, diese Dreiheit offensichtlich nicht verwirklicht ist. Ein gutes Beispiel ist vielleicht der englische Lehrer Tony Parsons, der eine rein absolute Perspektive lehrt ohne Zugang und Integration der anderen beiden Aspekte. Dasselbe Geschehen ist ja auch in der Historie und Entstehung der Ochsenbilder zu beobachten, die über viele 100 Jahre nur eine achtgliederige Bilderfolge waren, die mit der Absorption im Absoluten endete. Bis dann im 12. Jahrhundert der Zenmeister kakuan shien die letzten beiden Bilder hinzufügte, „die Rückkehr zur Quelle“ und das „Betreten des Marktplatzes mit offenen Händen“. Damit endet auch jede vermeintliche Widersprüchlichkeit zwischen Sein und Werden, zwischen dem Absoluten und der Evolution, zwischen Gott und Mensch.

Interview mit OM C. Parkin führten Ulrike und Dr. Rüdiger Porep am 4.1.2013 im Kloster Gut Saunstorf