Prof. Dr. Joachim Ernst Berendt im Gespräch mit OM C. Parkin, Herbst 1999
Prof. Dr. Joachim-Ernst Berendt, Jahrgang 1922, MitbegrĂĽnder des SĂĽdwestfunks, liebevoll „Jazzpapst“ genannt, ist als Autor von 33 BĂĽchern, die in 21 Sprachen ĂĽbersetzt wurden, seit Mitte der 70er Jahre auch als Impulsgeber der Welthörkultur hervorgetreten. Seine Beiträge „Nada Brahma – die Welt ist Klang“ und sein Credo „Ich höre, also bin ich“ haben das Ohr als ursprĂĽnglich zentrales Sinnesorgan des Menschen eindrĂĽcklich ins Bewusstsein gerĂĽckt. Bei aller FĂĽlle der WĂĽrdigungen seines Werks, bei aller Anerkennung und Ehrung seiner Person ist er wach und frisch in der Frage aller Fragen: „Wer bin ich?“ Als er 1998 mit dem Buch von OM C. Parkin* „Die Geburt des Löwen – Dialoge zur Selbsterforschung“ in BerĂĽhrung kam, fand er hier“ (…) die genaueste, nachvollziehbarste Anleitung (…) zur Erforschung des Selbst, des einen SELBST, das uns alle verbindet …, die in deutscher Sprache geschrieben wurde“ (siehe seine engagierte Buchbesprechung in Connection, Heft 11-12 / 1998). Joachim-Ernst Berendt suchte von da an das direkte Gespräch mit OM. Der folgende Beitrag resultiert aus einer Begegnung im Juli 1999 in Baden-Baden.
Joachim-Ernst Berendt: OM, ich höre Dich immer wieder von der MĂĽhelosigkeit dessen, was geschieht, sprechen. „Es geschieht“, sagst Du. Und: „Es gibt nichts zu tun.“ Andererseits machst Du unter dem Titel „Das Mysterium“ mehrjährige Trainings mit Menschen. Warum arbeitest Du mit Menschen, wenn es nichts zu tun gibt?
OM: Das Paradoxe des spirituellen Weges scheint zu sein, dass es der vollkommenen MĂĽhe bedarf, um MĂĽhelosigkeit zu realisieren. Die vollkommene MĂĽhe könnte ich gleichsetzen mit dem vollkommenen Willen einerseits und andererseits der vollkommenen Bereitschaft, jede Arbeit geschehen zu lassen, die zu geschehen hat. Ich arbeite mit Menschen, um sie erkennen zu lassen, dass keine Arbeit notwendig ist. Wie kann dieser Widerspruch gelöst werden? Nun, wenn ich mit Menschen arbeite, dann vermittle ich, dass nicht sie es sind, die zu arbeiten haben, sondern dass sie lediglich Arbeit geschehen zu lassen haben. Das bedeutet: Was sich ver-wickelt hat, ent-wickelt sich ganz von selbst, wenn die Spannung, die vom Ich kĂĽnstlich aufrechterhalten wird, aufgegeben wird. Wenn wir uns eine verwickelte Spirale vorstellen, die durch eine Spannung zusammengehalten wird, so wird sie sich in dem Moment, in dem die Spannung losgelassen wird, ganz natĂĽrlich wieder ent-wickeln. Der denkende Geist, das falsche „Ich“, ist eine kĂĽnstlich festgehaltene Anspannung, die eine natĂĽrliche Entwicklung verzögert oder nicht zulässt.
JEB: Ja, der Geist hält alles fest. Das ist ja seine Tendenz: festzuhalten, anzuhalten, anzuhaften, das FlieĂźen nicht zu gestatten. Mir hat zweierlei geholfen bei diesem Widerspruch zwischen der Einfachheit und der Schwierigkeit: Das eine ist die Sehnsucht, diese nicht niederzuhaltende brennende Sehnsucht, und mir bei allen Schwierigkeiten, die ich sehe, zu sagen: „Quatsch, das sind Schwierigkeiten, die dein Geist konstruiert“. Das andere sind Deine oft wiederholten Worte: „Es geschieht“. Ich brauche nur in die Stille zu gehen und zu spĂĽren „Es geschieht“, und dann geschieht ganz viel.
OM: Die Schwierigkeit ist ja nicht die Arbeit selbst, sondern die Schwierigkeit besteht aus dem Widerstand gegen die Arbeit. Denn wir wissen, dass es im denkenden Geist als einem gespaltenen Instrument zu jedem „Ja“ ein äquivalentes „Nein“ gibt. Wenn er sich bemĂĽht „Ja“ zu sagen, dann nur deshalb, weil es im Unterbewusstsein ein verdecktes „Nein“ gibt. Wenn er sich bemĂĽht „zu wollen“, gibt es im Unterbewusstsein ein verborgenes „Ich will nicht“. Diese ewige Spaltung, die nicht in vollkommener Bewusstheit stattfindet, macht die Arbeit, die zu geschehen hat, zu einer groĂźen Schwierigkeit. Die zweite Schwierigkeit ist die Nicht-Bereitschaft, mit Phänomenen zu sein, die auĂźerhalb der bequemen Zone des denkenden Geistes liegen. Jedes Tier – und das Lustprinzip ist ein tierisches Prinzip – sucht ganz natĂĽrlich die Orte auf, an denen es sich wohlfĂĽhlt und so zunächst auch der Mensch, der in seinem begrenzten „Ich“ mit den niederen Instinkten des Tierkörpers identifiziert ist. Der spirituelle Weg ist ein Weg, der das Lustprinzip verlässt.
Satyam Nadeen teilte seinen SchĂĽlern mit: „Ich habe eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht fĂĽr euch. Die gute Nachricht ist: Die Befreiung aus dem konditionierten menschlichen Zustand steht fĂĽr jeden von euch in diesem Moment zur VerfĂĽgung. Und die schlechte Nachricht ist: Ihr mĂĽsst alle durch die dunkle Nacht der Seele.“ Im Moment der Unbequemlichkeit, der sich bis zur Unerträglichkeit steigern kann, sind viele nicht bereit, in der „vierten Bewegung“ zu bleiben. In der „vierten Bewegung“ zu sein, bedeutet in einem innerlich bewegungslosen Zustand von Meditation zu verweilen, ohne zu flĂĽchten, ohne woanders hinzugehen (ab-zulenken) und ohne dagegen anzugehen.
Das sind die drei Grundbewegungen, die in den Schlaf des Bewusstseins fĂĽhren, den wir so schmerzlich als Abtrennung von uns selbst erfahren. In der nackten Präsenz unserer selbst gibt es Phänomene, die zunächst unerträglich scheinen. Doch unerträglich sind sie nur, wenn wir uns durch eine der drei Bewegungen mit ihnen identifizieren, anstatt in der „vierten Bewegung“, dem Zeugesein, still zu verweilen. Ein normaler Mensch ahnt nichts von dieser Möglichkeit, da niemand ihn jemals gelehrt hat, innerlich einfach still zu bleiben. Egal, was auftaucht: einfach in dieser inneren Regungslosigkeit verweilen und das Auge des Bewusstseins keinen Moment wegrichten – und alles verbrennt. Angst, Zorn, Verzweiflung, Schuld, Vorstellungen, Bilder, all die Alpträume und Horrorvisionen des Geistes – sie verbrennen einfach. Die ganze Welt, die Leiden ist, verbrennt so im Bewusstsein.
JEB: Kannst Du noch mehr ĂĽber diesen wichtigen Ausdruck „verbrennen“ sagen?
OM: Das Leiden verbrennt ganz von selbst. Das ist die Einfachheit. Wer erkennt, dass Leiden nicht durch BemĂĽhung verbrennt, sondern letztlich durch die vollkommene Aufgabe jeder BemĂĽhung, der erkennt die Einfachheit des Seins. Seit einigen Jahren findet SATSANG und die Nicht-Lehre von Advaita, die SATSANG zugrunde liegt, im Westen immer größeren Zuspruch, und es gibt viele, die feiern SATSANG als „Die neue Lehre der Leichtigkeit.“ Sie glauben jetzt „Ich bin in Wirklichkeit schon erleuchtet“ und lehnen jede Form therapeutischer Arbeit oder Sâdhanâ (spirituelle Ăśbung) als ein Konzept ab. Der Geist macht sich das Konzept der Nicht-Arbeit zunutze, um damit seine Unernsthaftigkeit und seine Bequemlichkeit zu rechtfertigen. Er nennt das dann: „Einfach tun, was mir SpaĂź macht“ oder „das Leben feiern“. Das Konzept von „Es gibt nichts zu tun“ ist fĂĽr die Bequemlichkeit, die Hauptleidenschaft des Geistes, von groĂźer Attraktivität. Mit der Verbreitung von SATSANG verbreitet sich auch das Missverständnis in bezug auf MĂĽhelosigkeit und die Verwechslung von Leichtigkeit mit Einfachheit. Leichtigkeit ist nicht Einfachheit, sie ist lediglich die Ablehnung der Schwierigkeit, welche in der BemĂĽhung durch Arbeit auftritt.
Auf der anderen Seite gibt es all die uralten religiösen Missverständnisse im Hinblick auf die BemĂĽhung. Wir alle im Westen zehren noch von den Missverständnissen der Kirche und den unerleuchteten Generationen von christlichen Gläubigen und Lehrern. Eine Grundaussage von Religion ist: „BemĂĽhe dich, ein guter Mensch zu werden!“ Diese Grundaussage impliziert: „Du bist sĂĽndig, du bist ein schlechter Mensch. BemĂĽhe dich, um besser zu werden. Läutere dich, reinige dich.“ Deshalb gibt es BuĂźe und SĂĽhne. Es gibt in allen Religionen verschiedenste Mittel, um sich zu reinigen, sich zu läutern, sich zu bessern. All das setzt voraus, dass du ein schlechter Mensch bist, und die BemĂĽhung, die daraus folgt, ist nichts anderes als der Versuch, dieses „Schlechtsein“ wiedergutzumachen und dich der Schuld, die du dir scheinbar aufgeladen hast, zu entledigen oder sie zumindest zu erleichtern. Das ist der Teufelskreis, in den dich der betrĂĽgerische denkende Geist, der dieses System entworfen hat, fĂĽhrt. Die Wahrheit ist: Erkenne, dass es hoffnungslos ist und dass Schuld, Schlechtigkeit oder Bösartigkeit – um einfach nur verschiedene Begriffe zu nennen, die alle auf das Gleiche deuten – niemals wiedergutgemacht werden können. Es ist, wie ich es immer wieder mit einem primitiven Bild ausdrĂĽcke, als wenn du eine versalzene Suppe mit Zucker neutralisieren willst. Es funktioniert nur sehr, sehr begrenzt. Und im Grunde ist es innerhalb der Dualität unmöglich, denn es wäre ein Versuch, innerhalb der Dualität die Dualität zu ĂĽberwinden. Letztlich gilt es zu erkennen, dass „Schlechtsein“ und „Gutsein“ und die BemĂĽhung, die du aufwenden musst, um aus einem Zustand, den du als schlecht oder schuldhaft empfindest, herauszukommen, dass all das ein Konzept des denkenden Geistes ist. Es hat mit Gott nichts zu tun. Gott hat nicht gesagt „Das ist gut.“ Oder: „Das ist schlecht.“ Das ist ein System, welches der denkende Geist entworfen hat.
JEB: Es gibt ja auch in der griechischen Mythologie dieses Bild von Sisyphus, der den Stein immer wieder den Berg hinaufrollt. Und bevor er oben ist, rollt der Stein immer wieder runter. Und dann fängt er von neuem an.
OM: Das ist die Idee der Verdammnis. Und die Verdammnis ist ein erstarrtes, verhärtetes Konzept des Geistes, entstanden aus der Idee von Schuld. Und wenn wir die Schuld und all die BemĂĽhungen, die notwendig sind, um aus dieser Schuld auszubrechen, genau erforschen, stellen wir fest, dass die Schuld niemals aus dem Leben dieses Momentes entstammt, sondern dass die Schuld immer von woanders kommt. Sie ist niemals Hier. Sie ist niemals Jetzt. Sie ist immer woanders. Sie ist immer in dem, was wir Vergangenheit nennen. Die schwere Last der Zeit. Poonjaji sagte: „Time is mind and mind is time.“ Das heiĂźt, Zeit ist nur ein anderer Begriff fĂĽr Geist, fĂĽr den denkenden Geist.
JOACHIM ERNST BERENDT IM GESPRÄCH MIT OM C. PARKIN, HERBST 1999