Im Folgenden findest du Auszüge aus zwei wesentlichen Interviews mit OM C. Parkin, die sich den Fragen, „Wer ist der Guru?“ und „Braucht es einen äußeren Lehrer für den inneren Weg?“, widmen.
Wer ist der Guru?
Im Gespräch mit OM C. Parkin
Die Frage „Wer ist der Guru?“ bewegt mich schon sehr lange. Dazu habe ich ein Zitat in der Guru Gita über das Guru-Prinzip gefunden: „Das Guru-Prinzip bewegt sich und bewegt sich nicht. Es ist ebenso fern, wie es nah ist. Es ist ebenso im Inneren wie im Äußeren aller Dinge.“ Wer ist der Guru, OM?
Der Guru ist ein unpersönliches Prinzip, jenseits von persönlicher Identität und jenseits des Horizontes des denkenden Geistes. Es vermittelt zwischen dem Menschsein und Gott, zwischen dem Relativen und dem Absoluten. Es ist eine Repräsentanz der höchsten, der spirituellen Sphäre und vertritt das Wissen über das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dieses Prinzip existiert durch die menschliche Form, aber auch durch andere Manifestationen. Zu Ramana Maharshi sprach das Guru-Prinzip zum Beispiel durch einen Berg, ein Vorgang, der für einen rationalen Geist undenkbar ist. Dass das Guru-Prinzip durch die menschliche Form auftreten kann, ist in der westlichen Gesellschaft ein vollkommen unbekannter Vorgang. Wenn das Guru-Prinzip durch eine menschliche Form spricht, denken die Menschen, da spricht jemand, weil sie sich selbst für den Handelnden halten. Und so projizieren sie den Handelnden ebenfalls auf die Form des Gurus und glauben, es handle sich um einen individuell Handelnden. Das Guru-Prinzip spricht, lehrt und existiert aus der großen Stille.
In der christlichen und westlichen Gesellschaft gibt es kaum lebende Gurus, während in Indien der Guru die Form des Höchsten repräsentiert. In der christlichen Kultur existiert ja nur die Vorstellung eines einzigen lebenden Gurus: Jesus Christus.
Es ist nicht so, dass der Guru in der westlichen Gesellschaft nicht wertgeschätzt wird. Er wird weder wertgeschätzt, noch wird er nicht wertgeschätzt. Der Guru existiert einfach nicht, er kommt im Horizont des westlichen Geistes gar nicht vor. Das hat mehrere Gründe. Ein wesentlicher Grund, den ich auch in Texten beschrieben habe, ist der, den du genannt hast: Die christliche Tradition und im Wesentlichen die katholische Kirche hat im Laufe der Jahrhunderte alles dafür getan den lebenden Guru zu vernichten. Kaum trat er auf, wie in Form der wenigen Mystiker, wurde er von der Institution bekämpft. Wenn es Vertreter der Kirche waren, wie beispielsweise Meister Eckhart, kam es früher oder später zu einem Verfahren, nicht selten auch zu Verbannung oder Folter und gewaltsamer Tötung. Der lebende Guru war ein blasphemisches Potenzial und die Kirche hat weder ein Interesse noch ein Verständnis dafür gezeigt, dass der Guru inkarnieren kann. Heiligsprechung, was in der Geschichte der Kirche einer Art Anerkenntnis des Guru-Prinzips gleicht, geschah post mortem und nie während der lebenden Inkarnation. Der zweite wesentliche Grund ist, dass die Kulturen, die durch die Aufklärung gegangen sind, durch die zunehmende Entspiritualisierung der Gesellschaft und damit des kollektiven Geistes nicht nur den Aberglauben der Glaubensreligion ausgemerzt haben, sondern die Spiritualität an sich, weil die Aufklärung nie die Intelligenz hatte, zwischen prä- und transrationaler Spiritualität zu unterscheiden. Jede Form der Spiritualität ist aus Sicht der Aufklärung prärational. So nahm die Säkularisierung ihren Lauf, ganze Landstriche sind zunehmend entspiritualisiert und diese Tendenz setzt sich fort. Autoritätsneurose ist im Westen weit verbreitet und wurde als Schatten der Aufklärung von der Aufklärung noch befeuert. Autoritätsneurose bedeutet, es gibt eine sehr geringe Unterscheidungskraft zwischen einer falschen, angemaßten Autorität und einer Autorität, die nicht persönlicher Natur ist.
Die Aufklärung versteht den mündigen Verstand als höchste Instanz und ordnet jede Form der Spiritualität dieser vermeintlich höchsten Instanz unter. Dass es Formen der Spiritualität gibt, überhaupt Sphären von Intelligenz und Sphären des Wissens, die jenseits des mündigen Verstandes sind, ist in der Aufklärung nicht gelehrt worden. Das ist dem einfachen Menschen genauso wenig zugänglich, wie dem Akademiker, dem Naturwissenschaftler, dem Psychologen oder anderen führenden Instanzen dieser Gesellschaft. Das ist etwas, das nicht geglaubt werden kann, sondern das sich nur durch einen realen Transformationsprozess im Bewusstsein eines Menschen offenbart. Man kann sich dem Guru nicht intellektuell annähern, der Guru kann sich nur offenbaren. Ob jemand daran glaubt, dass es ihn gibt oder nicht, ist unerheblich. Genauso wie es unerheblich ist, ob jemand glaubt, dass es Gott gibt oder nicht.
Dass das Guru-Prinzip nicht einfach mit dem Verstand erfassbar ist, ist für mich im Moment gerade so bedeutsam. Ich stelle mir vor, es ist wie ein Code, den wir knacken müssen, und es erschließt sich nur durch eine direkte Erfahrung. Magst du darüber sprechen, was die Aufgabe und die Verantwortung eines Gurus ist oder wie du sie erfährst?
Ein Guru hat weder eine bestimmte Aufgabe, noch eine bestimmte Verantwortung. Es gibt Gurus, die lehren und andere, die nicht lehren. Streng genommen ist die bloße Existenz des Gurus natürlich eine Form der Lehre und erreicht die Menschen, die sich in der Nähe aufhalten durch Worte, durch Handlungen, durch das bloße Sein und die bloße Existenz. Das höchste Guru-Prinzip hat kein Gelübde abgelegt. Selbst die Vorstellung, dass ein Guru die Aufgabe hätte andere zu befreien, ist nur eine begrenzende Vorstellung eines moralisch denkenden Verstandes. Allein durch seine Existenz wird der Guru befreiender Natur sein und Dinge tun oder nicht tun, die der Befreiung der Menschen dienen. Aber es gibt keine bestimmten Handlungen, die notwendig sind oder andere Handlungen, die unterlassen werden müssen. Das Guru-Prinzip folgt keinem Konzept, das vom denkenden Geist bestimmt oder erfasst werden kann. Es ist frei, es ist spontan, es ist nicht vorhersehbar, es folgt keinem Gesetz, außer dem, das ich kosmisches Gesetz nennen könnte, denn es ist ja nicht getrennt von den ganz natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Kosmos, des Lebens und des Todes. Der Guru ist Leben und Tod zugleich, ein ewiges Prinzip. Es ist das erfahrbare Prinzip jenseits der Vergänglichkeit, jenseits dessen, was erscheint und wieder versiegt.
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Es genügt, sich für einen einzigen Moment vollkommen einzulassen
Ein Gespräch mit OM C. Parkin über die Schüler-Lehrer-Beziehung
Wozu brauche ich überhaupt einen äußeren Lehrer in menschlicher Form? Wir haben alle einen inneren Lehrer und das Leben selbst, das uns unaufhörlich lehrt, wenn wir aufmerksam sind.
Viele verstecken sich hinter Aussagen wie: “Ich brauche keinen äußeren Lehrer, der Lehrer ist innen” oder: “Das Leben ist mein Lehrer”, um der vollkommenen Konfrontation zu entgehen. Es sind diejenigen, die Widerstände gegen einen äußeren Lehrer haben, die ihn am nötigsten brauchen.
Gangaji sagte: “Ramana war nicht arrogant, deshalb brauchte er keinen äußeren Lehrer. Ich war arrogant, deshalb brauchte ich ihn.”
Ja. 99,9 % aller westlichen Menschen sind arrogant, deshalb brauchen sie einen Lehrer, um gedemütigt zu werden. Gedemütigt durch die Liebe. Gedemütigt durch die Wahrheit. Viele Suchende haben konzeptionelles Wissen über Advaita oder andere spirituelle Lehren angehäuft und glauben, sie hätten etwas verstanden. Darunter ist eine Arroganz spürbar, die von Unwissenheit zeugt. Die Arroganz falschen Wissens, das Wissen des Verstandes. Erst im totalen Einlassen auf das heiße Feuer der Beziehung zu einem äußeren Lehrer verbrennt diese Arroganz, ohne Spuren zu hinterlassen. An der Arroganz erkenne ich spirituelle Suchende, die nie wirklich mit einem Lehrer waren, oder sich von einem Lehrer abgewandt und überhöht haben.
„Selbstverwirklichung“ und Entwicklung der persönlichen Individualität sind schwer mit der Hingabe an einen Lehrer in Einklang zu bringen. Wir haben alle gelernt, uns eher auf logische Gedankenketten, auf unseren Verstand als auf unser Herz zu verlassen.
Die meisten Suchenden – von normalen Menschen ganz zu schweigen – haben zunächst keine Ahnung von den Ausmaßen der Macht des denkenden Geistes und so fehlt das vollkommene Unterscheidungsvermögen zwischen der Stimme des echten und des falschen Lehrers. Der Verstand ist die Droge, dem die Westler verfallen sind. Wir leben in einer rationalistischen, atheistischen Gesellschaft, in einem Zeitalter, das wir immer noch das Zeitalter der Aufklärung nennen. Ken Wilber hat in seinem Buch „Das Spektrum des Bewusstseins“ dargestellt, dass die Aufklärung die Missverständnisse und den Aberglauben der magischen und mythischen Weltsicht bereinigt hat. Aber jetzt zeigt sich auf dieser Ebene eine weitere Falle: die Rationalistenfalle. Der Rationalist, der ein Zweifler ist, und diesen Zweifel mit Hinterfragung verwechselt, belegt das Menschsein mit einem gar nicht beweisbaren Verdacht, nämlich mit dem Verdacht der Schlechtigkeit des Menschen. Er ist eine Folge der Abtrennung vom Herzen und von der Liebe. Denn in der Welt des Rationalisten gibt es keine Liebe. Es gibt vielleicht Ideen über Liebe aber es gibt die Liebe selbst nicht.
Im Herzen zu leben und diese Liebe zuzulassen, eröffnet ganz selbstverständlich die Dimension des eigentlichen Gutseins des Menschen. Und wenn der Geist all seine Anstrengungen aufgibt, die Anstrengungen, die er unternimmt, ein besserer Mensch zu werden und die unmenschliche Anstrengung, die dem zugrunde liegt, sich schlecht zu machen, dann scheint aus der Stille das natürlich fundamentale Gutsein des Menschen hindurch. Der denkende Geist ist ja im Grunde gar kein fein abgestimmtes Instrument, wie er zunächst erscheinen mag. Wenn man ihn sich durch den Spiegel des Enneagramms ansieht, erkennt man, wie maschinenhaft seine Funktion ist, sehr vorhersehbar, sehr laut. Durch die Begegnung mit dem Lehrer findet eine beständige Rückmeldung im Herzen statt, eine Potenzierung dieser leisen Stimme des Herzens, die unter der Grobschlächtigkeit des Geistes im Verborgenen liegt.
Und deshalb sage ich, dass jeder, der es mit der Erforschung von Wahrheit wirklich ernst meint, bereit sein muss, sich auf diese innere und äußere Beziehung zu einem Lehrer einzulassen.
Vor diesem „Sich-wirklich-Einlassen“ schrecken die meisten zurück. Wir wollen eine Sicherheit haben, wir wollen wissen, worauf wir uns da einlassen. Wie kann ich denn feststellen, ob der Lehrer, auf den ich bereit bin, mich einzulassen, ein „richtiger“ oder ein „falscher“ Lehrer ist?
Gar nicht. Der Verstand hat keinerlei Mittel, um einen echten von einem falschen Lehrer zu unterscheiden. Es gibt Gelehrte, wie Ken Wilber zum Beispiel, die versuchen, bestimmte Kriterien aufzustellen, nach denen die Vertrauenswürdigkeit eines Lehrers überprüft werden kann (siehe: Ken Wilber, Bruce Ecker, Dick Anthony: Meister, Gurus, Menschenfänger. Fischer Tb 1998). Aber das sind alles keine Systeme, die in irgendeiner Form wirklich einen echten von einem falschen Lehrer unterscheiden könnten, denn ein System ist in sich selbst begrenzt. Der denkende Geist ist in der Lage, alles ohne Ausnahme zu imitieren und zu kopieren. In seinem Kern ist er wirklich ein „Scheinheiliger“. Der Verstand kann einen echten Lehrer niemals wirklich erkennen. Der Verstand kann nur zwischen „Gut“ und „Schlecht“ unterscheiden, aber nicht zwischen „Echt“ und „Falsch“, weil er nämlich selbst „falsch“ ist. Wie sollte der Falsche zwischen Echt und Falsch unterscheiden können, das ist absurd.
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Der vollständige 12-seitige Artikel wurde im advaitaJournal Vol. 3 „Schüler-Lehrer-Beziehung“ veröffentlicht.
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