Gespräch mit OM C. Parkin, Frühjahr 2001

OM C. Parkin, spiritueller Meister aus Hamburg, gibt in diesem Interview Antworten auf Fragen zum Thema: „East meets West – West meets East“. Nach der Realisation der Essenz der uralten indischen Advaita Vedanta (= die letzte, tiefste Erkenntnis der Nicht-Zweiheit des Seins) führt OM Advaita in Satsang in den deutschsprachigen Raum ein. OM ist für diese Aufgabe prädestiniert.

Advaita, die Lehre von der Nicht-Dualität, sagt: Alles ist ein Bewusstsein. Der deutschsprachige Raum aber ist extrem auf den Verstand hin ausgerichtet, der sich ausschließlich in der Dualität, also in den Polaritäten, bewegt. Als spiritueller Lehrer und Nicht-Traditionalist folgt OM der spontanen Manifestation von Advaita, die dem indischen Weisen Ramana Maharshi geschehen ist und die sich über Poonjaji und Gangaji fortsetzt, in deren Satsang er endgültig seine wahre Natur erkannte. Zugleich ist OM psychotherapeutisch erfahren und als langjähriger Enneagrammlehrer außerordentlich gut vertraut mit der Funktionsweise des westlichen Verstandes.

F: Advaita ist die Essenz eines jeden spirituellen Weges. Diese ursprünglich aus Indien stammende Lehre, die lehrt, daß es „nicht zwei“ gibt, verbreitet sich seit Beginn der Neunziger Jahre zunehmend bei uns im Westen. Es sind jedoch keine Lehrer aus dem Osten, die bei uns Satsang oder Darshan halten, sondern Amerikaner, Engländer, Deutsche, also Lehrer, die im Westen aufwuchsen. Erhält Advaita dadurch ein neues, westliches Gesicht?

OM: Der Geschmack dieser Lehre wird natürlich im Westen ein anderer sein, und die Lehre, die z.B. in OM ihr Sprachrohr wählt, wird ganz selbstverständlich die Erfahrungen und das Wissen nutzen, das durch diesen Körper-Verstand-Mechanismus gesammelt worden ist. Bevor ich durch die Erfahrung eines massiven Schocks direkt in Advaita hineingestoßen wurde (ein schwerer Autounfall mit beinahe tödlichem Ausgang. Anm. d. Red.) und bevor ich dann begann, Darshan zu geben, habe ich mich bereits für Psychologie interessiert und habe, wenn auch vom heutigen Standpunkt aus gesehen in begrenztem Maße, Selbsterforschung betrieben. Und diese „kleine Selbsterforschung“, wie ich sie nenne – durch westlich-esoterisches, psychologisches Wissen ermöglicht – kann sehr wohl Advaita dienlich sein. Ich habe beispielsweise auch das Enneagramm studiert, und das Wissen um das Nicht-Selbst, wie es durch das Enneagramm reflektiert wird, ist von hohem Wert. Letztlich auch für die „große Selbsterforschung“, wie sie durch Advaita, durch Ramana Maharshi, weitergegeben wird. Der westliche Geist ist einfach analytischer, in gewisser Weise komplexer, was seine Inhalte betrifft, und deshalb benötigt er zunächst einen „Konzept-Spiegel“, der diese Inhalte spiegeln kann.

F: Ist deshalb nicht ein westlicher Lehrer effektiver für die spirituellen Sucher aus dem Westen als ein östlicher Lehrer sein kann?

OM: Es wäre sicherlich zu einfach, die Frage pauschal zu beantworten. Was sicher ist, ist, dass ein Mensch, der im westlichen Kollektiv groß geworden ist, die Versuchungen des westlichen Geistes wesentlich besser kennt, als ein Mensch, der im östlichen Umfeld groß geworden ist. Und der westliche Geist unterscheidet sich außerordentlich vom östlichen. Wenn man den psychologischen Begriff der Neurose benutzt, könnte man sagen, dass der westliche Geist viel neurotischer ist als der östliche und meistens einer anderen Art von innerer analytischer Arbeit bedarf. In der westlichen Betonung sogenannter Persönlichkeitsentwicklung steht ja die individuelle Ego-Stärkung wesentlich mehr im Vordergrund als z.B.in Indien oder Japan. Hier gilt es, ein ausgeprägtes Ego zu entwickeln, und ein ausgeprägtes Ego gilt im Westen als ein erfolgreiches Ego. Und die Neurosen, von denen ich gerade sprach, sind eben die Schattenseite dieses vermeintlich erfolgreichen Egos, das durch die westlichen Werte genährt und aufgebaut wird.

F: Dort, wo ein starkes Ego-Ich als eine Realität, ja als die Realität gelehrt wird, muss jede Realität auch von dieser Ich-Idee ausgehen. Ich- und Du, Ich- und meine Eltern, Ich- und meine Karriere, Ich,Ich,Ich. Wo Ich ist, da sind zwei. Bei uns im Westen wird nur Dualität gelehrt: Im Elternhaus, in der Schule, an der Universität, in den Medien, selbst die Kirche lehrt Ich und Gott. Und ein ganzes Heer von Psychotherapeuten ist von der Gesellschaft damit beauftragt, dieses Ego-Ich aufzupäppeln. Welchen Sprengstoff enthält die Begegnung der Advaita-Lehre mit der westlichen Therapie-Gesellschaft?

OM: Nun, der Sprengstoff besteht u.a. darin, dass Advaita das Ende jeglicher esoterischen oder psychologischen Lehre ist, dass Advaita die Psychologie als Heilslehre des Egos letztendlich überflüssig macht und damit auch die Tätigkeit von Psychologen, Therapeuten, Leitern von Esoterik-Workshops etc. Das ist ja inzwischen ein ziemlich umfangreicher Berufszweig geworden hier im Westen, ein Berufszweig, der die Rolle übernommen hat, die früher Priester spielten, als die christliche Religion bei uns noch sehr viel mehr Macht hatte. Wenn jedoch der Stellenwert von Advaita, wenn die Lehre der Non-Dualität als das Ende der Suche erkannt wird, dann dienen die vorübergehenden Konzepte und Erklärungsmodelle der Psychologie und der Esoterik letztlich Advaita und damit auch ihrer eigenen Auflösung.

Die Lehre der Dualität mag zwar bei uns im Westen am extremsten ausgeprägt sein, trotzdem leben Menschen nicht einmal in bewusster Dualität, besser gesagt, sie sind sich der Dualismen, die der Geist hervorbringt, nicht wirklich bewusst. Deshalb geht es zunächst um eine bewusste Entzerrung, eine bewusste Entzweiung, so dass aus einer entzerrten Dualität von Ich und Du wirkliche Selbsterforschung geschehen kann. Zunächst einmal müssen „meine“ Angelegenheiten von „deinen“ Angelegenheiten getrennt sein. Das ist ein Zustand, der bei den wenigsten Menschen vorherrscht. Sie neigen dazu, ihre eigenen geistigen Konstrukte auf alles oder jeden zu übertragen und die Realität damit zu überschatten. Wenn alles zurückgenommen und damit diese Subjekt-Objekt- Beziehungen entzerrt sind, dann ist ein Zustand erreicht, den ich als Verantwortlichkeit bezeichne. Und in dieser Verantwortlichkeit für das Leiden, das innere Leiden, kann der Wunsch nach Freiheit erwachen, und das treibt die Selbsterforschung immer tiefer nach innen.

F: Wie kann dieser Wunsch nach Freiheit in einer Gesellschaft, die einen so hohen Grad an Selbstentfremdung erreicht hat, überhaupt entstehen?

OM: Sicherlich besteht ein Zusammenhang zwischen der höchstgradigen Selbstentfremdung, die wir hier im Westen erreicht haben, der Bewusstheit des Leidens und damit auch der Empfänglichkeit dafür, die Wahrheit der Stille zu empfangen. Leider ist der denkende Geist immer erst dann empfänglich, wenn er eingestehen muss, dass die Versuche, Glück in den Erfahrungen der Außen- oder der Innenwelt zu finden, gescheitert sind. Das ist der Moment, wo er empfänglich ist. Vorher ist er in den seltensten Fällen empfänglich, denn solange er mit seinen Strategien scheinbar erfolgreich ist, gibt es meist kein Interesse an der Wahrheit. Natürlich sind bei uns im Westen die groben Leiden der Menschheit, d. h. Überlebenskampf, Hunger, Obdachlosigkeit im wesentlichen eingedämmt. Und aus diesem Grunde sind viele Menschen sehr bequem und überheblich geworden, aber diese Bequemlichkeit, das Wohlbefinden dieser Bequemlichkeit hat seine Grenzen.

Quelle: Auszug aus: advaitaJournal Vol.4, Frühjahr/Sommer 2001, „Advaita im Westen“, Seite 9.